Der Expertenstandard Dekubitus in der Pflege liegt aktuell in der aktualisierten Fassung von 2010 vor. Er war der erste Standard der überhaupt entwickelt wurde, was unter anderem auch in der Dringlichkeit und der Relevanz für unseren Berufsstand begründet liegt. Ein Dekubitus ist per Definition des Expertenstandard Dekubitus „eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder des darunterliegenden Gewebes, in der Regel über knöchernen Vorsprüngen infolge von Druck oder von Druck in Kombination mit Scherkräften“. Es gibt eine Reihe weiterer Faktoren, welche tatsächlich oder mutmaßlich mit Dekubitus assoziiert sind; deren Bedeutung ist aber noch zu klären. Jeder, der auch nur einen Tag in der Pflege gearbeitet hat, wurde bereits mit dem Thema konfrontiert – und das zurecht. Nicht zuletzt geht ein Dekubitus mit einer erheblichen Minderung von Lebensqualität und Wohlbefinden einher.
Das Ziel des Standards
Jede dekubitusgefährdete Person erhält eine Prophylaxe, die die Entstehung eines Dekubitus verhindert. Gerade unter Pflegekräften „der alten Schule“ gilt bzw. galt der Leitsatz: Ein Dekubitus ist immer ein Pflegefehler. Wir Pflegekräfte empfinden offensichtlich noch nicht genug Druck und quälen uns mit solchen Dogmen selbst. Hier sind besonders Führungs- und Leitungskräfte gefordert, und zwar in der Form, dass sie Mitarbeiter schulen und fortbilden, anstatt zu sanktionieren!
Der oben gemachten Aussage stimmt der Expertenstandard Dekubitus in der vorliegenden Fassung nicht mehr zu, und gesteht Ausnahmesituationen ein. Diese können Vorliegen bei
- Personen, deren gesundheitliche Situation gegen eine konsequente Anwendung prophylaktischer Maßnahmen spricht
- Umständen, die eine „andere Prioritätensetzung erfordert (z.B. in der Sterbephase)
Nichts desto trotz ist ein Dekubitus immer ein heikles Thema und die prophylaktischen Maßnahmen sollten in jedem Dokumentationssystem – auch im neuen Strukturmodell SIS – per Handzeichen bestätigt werden. Nur wer die Durchführung der prophylaktischen Maßnahmen nachweisen kann, ist vor evtl. Regressansprüchen durch die Krankenkassen geschützt. Die Behandlung eines Dekubitus ist überaus kostspielig.
Maßnahmen des Expertenstandard in der Pflege
Der Expertenstandard Dekubitus legt bei der Auswahl der prophylaktischen Maßnahmen sein Augenmerk auf folgende Faktoren:
- eine systematische Risikoeinschätzung
- Schulung der gefährdeten Personen
- Bewegungsförderung
- Druckentlastung und -verteilung
- Evaluation der Maßnahmen
Der Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Praxis
Ähnlich wie auch der Expertenstandard chronische Wunden wir auch hier auf zwei wesentliche Punkte geachtet:
1. Zu Beginn und Wiederbeginn (z.B. nach Krankenhausentlassungen) des pflegerischen Auftrags wird das Dekubitusrisiko systematisch ermittelt. Dabei schreibt der Standard nicht (mehr) vor, dass dies mit Hilfe eines Assessment-Instruments zu erfolgen hat. Das bedeutet, wir sind nicht verpflichtet etwa die Braden- oder Norton-Skala zu nutzen. An ihrer Stelle kann auch eine adäquat begründete pflegefachliche Einschätzung stehen. Besteht kein Risiko, legt die Pflegekraft fest, in welchen Abständen erneute Risikoeinschätzungen durchgeführt werden. (Evaluation). Wichtig ist, dass abgesehen von festgelegten Evaluationsintervallen, eine sofortige Neubeurteilung erfolgen muss, falls sich der Zustand der pflegebedürftigen Person gravierend verändert. (z.B. durch Verminderung der Mobilität, akute Erkrankungen mit verminderter Aktivität, erheblicher Gewichtsverlust.)
2. Liegt ein Dekubitus vor, müssen umgehend prophylaktische Maßnahmen geplant, durchgeführt und engmaschig evaluiert werden. Dies geschieht immer in Absprache mit dem Betroffenen bzw. seinem Angehörigen! Auch hier ist unter Umständen zu dokumentieren, dass Beratungsgespräche stattgefunden haben. Lehnt der Betroffene einen Teil der vorgeschlagenen Maßnahmen ab, ist auch dies in jedem Fall zu dokumentieren. Zu den vordringlichsten Maßnahmen gehört, laut Expertenstandard Dekubitusprophylaxe, in jedem Fall eine effektive Druckentlastung bzw. -verteilung, z.B. mit Hilfe von Weichlagerungskissen und -matratzen. Diese entbinden jedoch in keinem Fall von notwendigen Maßnahmen zur Bewegungsförderung. Auch kommt man nicht umhin, einen Bewegungsplan anzulegen und individuelle Bewegungsintervalle festzulegen.
Weitere Tipps aus der Praxis zum Expertenstandard Dekubitusprophylaxe
Es ist heute nicht mehr üblich, jede dekubitusgefährdete Person in einem Abstand von 2 Stunden zu lagern. Auch ist es in keiner Weise vorgeschrieben dekubitusgefährdete Personen ans Bett „zu fesseln.“ Vielmehr, so fordert es der Expertenstandard Dekubitus, sollte die vorhandene Eigenbewegung gefördert werden. Bei einem vorliegenden Risiko empfiehlt der Expertenstandard Dekubitus ferner, dass alle an der pflegerischen Versorgung beteiligten Personen (Angehörige eingeschlossen) über die Notwendigkeit der kontinuierlichen Fortführung der Maßnahmen informiert werden.
Dieser Aspekt sollte besonders in der ambulanten Versorgung hohe Beachtung finden. Hier fällt es deutlich schwerer, festgelegte Bewegungsintervalle einzuhalten, da eine „Rund um die Uhr“-Versorgung nur in den seltensten Fällen gegeben ist. Auch sind die technischen Voraussetzungen nicht in dem Maße gegeben, wie in einer stationären Einrichtung.
Zusammenfassung und Fazit
Unter all den pflegesensitiven Risiken, spielt das Dekubitusrisiko noch immer eine große Rolle. Hier zeigen sich in kürzester Zeit Erfolg und Misserfolg unserer geplanten Maßnahmen. Die Prophylaxe ist aufgrund der kontinuierlichen Durchführung sowie der Komplexität der einzelnen Maßnahmen nur in einem gut geschulten Team effektiv und erfolgreich durchzuführen. Wir weisen nochmals darauf hin, dass es unabdingbar ist ein bestehendes Risiko zu dokumentieren. Das gilt vor allem auch dann, wenn es einmal zu einem Dekubitus kommt – dokumentieren Sie das, selbst, wenn es sich um einen Dekubitus Grad 1 handelt. Wir wissen, dass es unangenehm ist, sich einzugestehen, dass ein Dekubitus entstanden ist – dennoch sollten Sie auf keinen Fall versuchen, diesen zu verbergen oder auf „eigene Faust“ zu behandeln. In solchen Fällen ist es hingegen umso wichtiger transparent zu sein und gute Absprachen mit den Kollegen zu treffen. Je früher dies geschieht, desto geringer wird der Schaden sein.