Der Expertenstandard Förderung der Harnkontinenz in der Pflege liegt in seiner aktualisierten Fassung seit 2014 vor. Für viele Pflegekräfte besitzt der Standard nicht einen so hohen Stellenwert, wie beispielsweise die Dekubitus- oder Sturzprophylaxe. Auch beharren viele Einrichtungen nicht derart intensiv auf die Umsetzung, wie das bei anderen Expertenstandards der Fall ist. Das ist schade, denn eine Harninkontinenz ist für die meisten Betroffenen ein sehr beklemmender und schambehafteter Zustand. Mit der Folge, dass mit Problemen in diesem Bereich nicht offen umgegangen wird. Umso wichtiger ist es daher, dass sich Altenpfleger mit dem Thema auseinandersetzen und ihm mehr Aufmerksamkeit widmen. Nicht zuletzt ist auch die Inkontinenz, neben Dekubitus, Sturz, Ernährung und Schmerz ein pflegesensitives Risiko. Das heißt, es tritt zusammen mit den Genannten in der Pflege am häufigsten auf.
Zielgruppe Expertenstandard Harnkontinenz
Der Expertenstandard Harnkontinenz befasst sich mit der Harninkontinenz bei Erwachsenen. Dabei wird unterschieden zwischen Menschen, die inkontinent sind und Menschen, die einem erhöhten Risiko unterliegen. Statistisch gesehen sind davon überwiegend Frauen und ältere Menschen (beiderlei Geschlechts) betroffen. Eine genauere statistische Untersuchung des Phänomens gestaltet sich schwierig, da aus o.g. Gründen Probleme häufig verschwiegen bzw. verheimlicht werden.
Laut Expertenstandard definiert sich Harnkontinenz wie folgt:
„Die Fähigkeit, willkürlich und zur passenden Zeit an einem geeigneten Ort die Blase zu entleeren. Harnkontinenz beinhaltet weiterhin die Fähigkeit, Bedürfnisse zu kommunizieren, um Hilfestellungen zu erhalten, wenn Einschränkungen beim selbständigen Toilettengang bestehen.“
Von diesem Thema sind ausgeschlossen, Personen, die unter Stuhlinkontinenz leiden, sowie die komplexe Versorgung von Menschen mit einem Urostoma.
Der Expertenstandard Harnkontinenz richtet sich an Pflegefachkräfte der ambulanten und stationären Altenhilfe, sowie der stationären Gesundheitsversorgung. Passende Jobs finden Sie auf unserer Seite Stellenangebote aus der Altenpflege.
Expertenstandard Harnkontinenz – Die Umsetzung
Ziele des vorliegenden Expertenstandards:
„Bei jedem Bewohner/Patienten wird die Harnkontinenz erhalten oder gefördert.“
„Identifizierte Harninkontinenz wird beseitigt, weitestgehend reduziert bzw. kompensiert.“
Wie bereits angesprochen führt eine Harninkontinenz bei den Betroffen zu einer Reihe von Problemen. Hierzu zählen sozialer Rückzug, verminderte Lebensqualität und ein erhöhter Pflege- und Hilfebedarf. Aus diesen Gründen sollten wir Pflegekräfte sensibler mit diesem Thema umgehen, auch, wenn wir bei Missachten nicht mit Regressansprüchen Dritter konfrontiert werden.
Wie in allen Expertenstandards, werden auch hier sowohl Struktur-, als auch Prozesskriterien benannt, die von der Einrichtung und der Pflegefachkraft erfüllt werden müssen.
Wie in nahezu allen Expertenstandards gelten auch hier Struktur- und Prozesskriterien, welche durch die Einrichtung, einerseits, und die Pflegefachkraft, andererseits, erfüllt werden müssen.
Im Bereich der Strukturkriterien obliegt es der Einrichtung dafür zu sorgen, dass:
- Erforderliche Instrumente zur Einschätzung bereitstehen
- Verfahrensregelungen zu Zuständigkeiten und Vorgehensweisen im Zusammenhang mit Förderung der Harnkontinenz vorliegen
- Materialien zur Beratung bei Problemen vorhanden sind
- Ausreichend Personal vorhanden ist
- Ein Kontinenz-förderndes Umfeld besteht
- Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden
Die Pflegefachkraft hingegen muss:
- Risikofaktoren und Anzeichen einer Harninkontinenz identifizieren können
- Probleme mit der Harnkontinenz differenziert einschätzen können
- Über aktuelles Wissen zum Thema verfügen
- Kompetent den Pflegeprozess in Bezug auf die Problematik steuern können (dazu gehört, die Planung, Umsetzung und Beurteilung der Maßnahmen, im Hinblick auf ihre Wirksamkeit
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist der Grundstein für eine fachlich gute Kontinenzförderung gelegt.
Das folgende Schaubild stellt in vereinfachter, beispielhafter Form dar, wie Pflegekräfte dem Expertenstandard (Prozessstruktur) gerecht werden können.
Expertenstandard Kontinenzförderung – Kontinenzprofile und Risiken
Obwohl alle Pflegefachkräfte es im Rahmen ihrer Ausbildung einmal gelernt haben, fällt es vielen von ihnen schwer, sich an die Kontinenzprofile zu erinnern.
Auch dem möchten wir mit einer kleinen Übersicht Abhilfe schaffen.
Mithilfe dieser Übersicht sollte es schnell möglich sein, seine Pflegekunden adäquat einzuschätzen. In Verbindung mit einer ersten Einschätzung, sollten jedoch auch mögliche Risikofaktoren für eine Inkontinenz abgeklärt bzw. eingeschätzt werden.
Dazu gehören:
- Schwangerschaften in der Vergangenheit
- Senkung der weiblichen Beckenorgane
- Vergrößerung der Prostata
- Häufige Blasenentzündungen
- Schwaches Bindegewebe
- Chronische Atemwegserkrankungen (häufiges Husten erhöht den Druck im Bauchraum)
- Ständige schwere körperliche Arbeit
- Übergewicht
- Hohes Alter
- Medikamentöse Therapie (z.B. Diuretika; Antidepressiva)
- Andere Grunderkrankungen (z.B. Demenz; Z.n. Schlaganfall; Diabetes mellitus; Morbus Parkinson; Multiple Sklerose)
Auch kann es sinnvoll sein, in den ersten Tagen nach einer Neu- bzw. Wiederaufnahme ein Miktionsprotokoll zu führen, um einen Eindruck vom Ausscheidungsverhalten zu bekommen. Wichtig ist, dass dieses Protokoll korrekt und von allen Mitarbeitern geführt wird. Ansonsten können verfälschte Informationen zu einer inadäquaten Maßnahmenplanung führen.
In dem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass das Protokoll gewisse Informationen festhalten sollte, wie z.B.
- Uhrzeit
- Toilettengang aus eigenem Antrieb, oder nach Aufforderung/Erinnerung
- Vorlage trocken
- Vorlage nass
- Urin gelassen
- Kein Urin gelassen
Je detaillierte diese Informationen gesammelt werden, desto besser lassen sich Maßnahmen und erforderliches Inkontinenzmaterial bestimmen.
Expertenstandard Förderung der Harnkontinenz – Zusammenfassung
Es ist unbestreitbar, dass sich eine Harninkontinenz negativ auf viele Lebensbereiche des Betroffenen auswirkt und zutiefst unangenehm ist. Dennoch hat dieses Thema unter vielen Pflegekräften und in vielen Einrichtungen nicht den Stellenwert, wie beispielsweise ein Dekubitus- oder Sturzrisiko. Und hier sollten wir alle, die wie an der Pflege von Menschen beteiligt sind, uns fragen, warum das so ist? Haben wir etwa ein größeres Interesse daran Dekubitalgeschwüre und Stürze zu vermeiden, da wir uns für diese Phänomene rechtfertigen und ggfs. Entschädigungen zahlen müssen? Hier müssen wir uns alle hinterfragen, denn wenn dies tatsächlich ein Kriterium für unser Handeln ist, dann rücken wir die Altenpflege in ein noch schlechteres Licht, als sie es ohnehin schon ist.
Natürlich macht die gesamte Risikoeinschätzung und die Ermittlung des Kontinenzprofils Arbeit. Auch das Führen eines Miktionsprotokolls ist aufwendig. Doch bedenken Sie, dass beides nur für kurze Zeit, aber effizient geführt werden muss. Sie werden schnell feststellen, dass Sie mit den Ergebnissen viel genauere Maßnahmen festlegen können, mit der Folge, dass sich bald eine Arbeitserleichterung einstellen wird.