„Ich brauch` doch keinen Psychiater! Ich bin doch nicht bekloppt.“ Kaum eine Facharztrichtung wird so skeptisch beäugt, wie die Psychiatrie. Selbst in so aufgeklärten Zeiten, wie in der unseren. Dabei kann psychiatrischer Beistand, gerade auch für Alten- und Krankenpfleger, Gold wert sein.
Ein Erfahrungsbericht aus der vollstationären Pflege
Ich, männlich, 39 Jahre alt und examinierter Altenpfleger, arbeite seit ca. 6 Jahren als Wohnbereichsleitung in einer vollstationären Pflegeeinrichtung im Münsterland. Zu meinem Bereich gehören 36 Bewohner aller Pflegestufen, zum Teil mit gerontopsychiatrischen und neurologischen Erkrankungen. Gerade da, wo Demenzerkrankungen auf bereits manifestierte psychische Erkrankungen treffen, kann der „gewöhnliche“ Hausarzt nicht mehr weiterhelfen. Die Stadt, in der ich arbeite, hat ca. 48.000 Einwohner und es gibt genau drei Neurologen, die eine Gemeinschaftspraxis betreiben. Das hat zur Folge, dass Hausbesuche, wenn überhaupt, einmal im Quartal stattfinden. Eine telefonische Beratung kommt aufgrund der Überbelastung in der Praxis nicht zustande. Der Großteil der Kommunikation wird per Fax erledigt. Auf Antworten kann man schon mal mehrere Tage warten – falls Sie also nach einem neuen Job suchen, finden Sie hier unsere Stellenangebote aus der Altenpflege.
Ich bin mir sicher: Sie kennen das. Nun kooperieren wir seit sechs Monaten mit einer nahegelegenen psychiatrischen Institutsambulanz und der Effekt ist grandios, auch, wenn hier und da noch etwas Sand im Getriebe ist.
Wie funktioniert eine solche Kooperation?
Zunächst sollte mit der Ambulanz abgesprochen werden, wie viele der in der Einrichtung lebenden Bewohner für eine Behandlung in Frage kommen. Möchte ein Bewohner (Bevollmächtigter/Betreuer) die Leistung der Ambulanz in Anspruch nehmen, so benötigt er eine Überweisung durch den Hausarzt. Unter Fachrichtung wird dann „Psychiatrische Ambulanz“, „Institutsambulanz“ oder einfach „Psychiatrie“ eingetragen.
Ist die Anzahl der zu betreuenden Bewohner bekannt und liegen dementsprechend Überweisungen vor, kann der erste Hausbesuch erfolgen. Dieser sollte gut terminiert werden, denn er nimmt deutlich mehr Zeit in Anspruch als die Visite eines Hausarztes. Dafür muss eine Fachkraft abgestellt werden. Es kann sinnvoll sein, der Ambulanz bereits im Vorfeld alle wichtigen Informationen (Stammblatt, Diagnosen, Medikation) zukommen zu lassen.
Beim Hausbesuch ist es in der Regel so, dass der Psychiater mit der begleitenden Pflegefachkraft jeden Bewohner ausführlich bespricht. Die Fachkraft kann auf Schwierigkeiten und Problemlagen hinweisen und über Eigenarten der jeweiligen Bewohner berichten. Das erleichtert meist dem Psychiater den ersten Kontakt. Die eigentliche Visite beim Bewohner findet im Anschluss daran statt. Auch diese kann und sollte durch eine Pflegefachkraft begleitet werden. Die Erstgespräche sind meist sehr ausführlich und daher zeitintensiv. Auch das sollte unbedingt eingeplant werden.
Nachdem der Psychiater den Bewohner besucht hat, erfolgt meist ein weiteres Gespräch mit der Fachkraft. Darin geht es dann meist um die Therapie und Behandlung. Damit ist nicht ausschließlich eine medikamentöse Therapie gemeint, wenngleich diese eben auch eine wichtige Rolle spielt. In erster Linie geht es darum, die Beschwerden des Bewohners zu lindern, aber auch Fähigkeiten und Kompetenzen zu fördern und zu erhalten.
Im Gegensatz zu den Hausärzten, müssen Fachärzte keine Rücksicht auf Budgets nehmen und können ohne weiteres Ergotherapie, Logopäde und unter bestimmten Voraussetzungen auch Physiotherapie verordnen. Ordnet der Psychiater eine Medikation an, oder ändert die bestehende Medikation, wird er meist auch um eine Rückmeldung dazu bitten. In dem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass viele Psychopharmaka erst nach bis zu sechs Wochen ihre Wirkung zeigen. Neben diesen Möglichkeiten wird der Psychiater aber auch Tipps zur Kommunikation und zum Umgang mit dem jeweiligen Bewohner geben. (Siehe auch „Integrative Validation“ und „Positive Interaktion nach Kittwood“) Diese muss die begleitende Pflegekraft unbedingt ans Team weitergeben, denn nur das einheitliche Handeln des gesamten Teams führt letztlich zum Erfolg, wenn es z.B. um herausfordernde Verhaltensweisen geht.
In den folgenden Tagen und Wochen ist eine gute Beobachtung und Dokumentation erforderlich. Je besser und detaillierter die Rückmeldung an den Psychiater erfolgt, desto besser kann er einschätzen, ob die gewählte Therapieform die Richtige ist.
Probleme außer der Reihe?
Im psychiatrischen Bereich kann es, ebenso wie in den somatischen Fachgebieten, zu akuten Problemen kommen. Auch hier funktioniert die Zusammenarbeit relativ simpel. Meist hat man beim ersten Anruf schon das Glück, sofort mit dem behandelnden Psychiater verbunden zu werden. Ist das nicht der Fall, wird man schon nach kurzer Zeit zurückgerufen. Ist dem Psychiater der betroffene Bewohner bekannt, kann eine erste Anordnung telefonisch erfolgen. Bei unbekannten Bewohnern erfolgt zeitnah ein Hausbesuch. Zudem erhält man über den Psychiater Kontaktmöglichkeiten für Feiertage und Wochenenden, so dass hier in Krisen nicht auf den kassenärztlichen Notdienst zurückgegriffen werden muss.
Ein Fazit:
Wer noch nicht mit einer psychiatrischen Ambulanz kooperiert und die oben beschriebenen Probleme täglich am eigenen Leib erfährt, sollte sich unbedingt auf die Suche nach einem guten Kooperationspartner machen. Gerade da, wo Demenzerkrankungen auf bereits manifestierte psychische Erkrankungen treffen, kann der „gewöhnliche“ Hausarzt nicht mehr weiterhelfen. Die Visiten kosten zwar viel Arbeitszeit, aber diese ist gut investiert. Letztlich profitieren sowohl Bewohner als auch Pflegekräfte von der Kooperation. Und falls Sie auf der Suche nach einen Mitarbeitern sein sollten, finden Sie hier unsere Personalvermittlung Pflege.