Resilienz in der Pflege – das klingt nach einer neuen Erfindung, die noch mehr Anstrengungen seitens der Fachkräfte erfordert. Doch das Gegenteil ist der Fall. Resilienz steht für Widerstandskraft und die Fähigkeit, sich von Herausforderungen und Rückschlägen schnell zu erholen, ohne dabei an Menschlichkeit und Empathie einzubüßen. Das funktioniert wiederum nicht, ohne individuelle Selbstfürsorge großzuschreiben.
Widerstandskraft – die Definition
Resilienz wird in der Psychologie definiert als die Fähigkeit, sich von Krisen und Rückschlägen ohne bleibende, negative Beeinträchtigungen zu erholen. In der Physik bezeichnet es eine Form von Elastizität. Ein Körper kann dabei gedehnt oder aus der Bahn geworfen werden. Ist es resilient, findet er von allein wieder in Balance.
Der Einfachheit halber verwenden wir in diesem Artikel das Beispiel einer Waage. Die Waagschalen stehen für positive und negative Einflüsse. Überwiegen die negativen Ereignisse, besteht die Resilienz daraus, die Waage wieder in eine Balance zu bewegen oder das Positive überwiegen zu lassen. War der Arbeitsalltag als Pflegefachkraft besonders anstrengend, müssen erholsame und kraftspendende Faktoren einen Ausgleich darstellen. Gleichzeitig ist es wichtig, bereits während der Arbeit Belastungen gering zu halten.
Die 7 Säulen der Resilienz
Der Aufbau der Widerstandskraft beruht auf Säulen, die fortlaufend gestärkt und gepflegt werden müssen. Je mehr und je besser diese tragenden Pfeiler ausgebaut werden, desto einfacher fällt die Erholung von Rückschlägen und Belastungen.
1. Optimismus und Dankbarkeit
Optimismus bedeutet nicht, alles rosarot zu sehen oder negative Ereignisse zu verdrängen. Es bedeutet hingegen, sich auch in schwierigen Zeiten auf das Positive besinnen zu können. Bewusste Dankbarkeit hilft dabei, dieses Ziel zu erreichen. Dazu wird nichts weiter als ein bis zwei Minuten direkt beim Aufwachen und kurz vorm Einschlafen benötigt. Wer zu diesen Zeiten bewusst dankbar ist, sei es für das Dach über dem Kopf, Familie, Partner und Freunde, für die eigene Gesundheit, den Job oder das Essen auf dem Tisch, setzt einen positiven Grundton und ist schwerer zu erschüttern.
2. Akzeptanz
Zu akzeptieren, was sich nicht ändern lässt, erleichtert den empfundenen Stress. Zu ändern, was immer wieder als negativer Einfluss wirkt, funktioniert am besten mit der nächsten Säule.
3. Lösungsorientierung
Wie kann etwas verbessert werden? Auf welchem Weg gelange ich in kleinen Schritten zum Ziel? Diese Fragen und das damit verbundene Vorgehen stärken die Selbstwirksamkeit und führen zu Erfolgen. Beides wirkt sich positiv auf die Resilienz aus.
4. Soziales Netzwerk
Familie, Freunde, Partner, aber auch Kollegen sind wichtig für Austausch, Bindung und Zufriedenheit. Entscheidend ist dabei jedoch nicht, möglichst viele Menschen im Leben zu haben. Entscheidend ist es, dass diese Beziehungen Kraft spenden und nicht zusätzlich Nerven und Energie rauben. Toxische Partnerschaften und einseitige Freundschaften schwächen die Widerstandskraft fortlaufend.
5. Selbstfürsorge
Für die Widerstandskraft in der Pflege ist es wichtig, dass sich Fachkräfte nicht vernachlässigen. Die Erfüllung von eigenen Bedürfnissen und Wünschen darf nicht immer hinten anstehen oder – was oftmals der Fall ist – sogar hinten runterfallen. Feste Zeiten für sich selbst zu haben und diese für Yoga, Wellness, das Schauen der Lieblingsserie oder ein Hobby zu nutzen, ist ein wichtiger Faktor für das Wohlbefinden, die Gesundheit sowie die psychische und emotionale Stärke.
6. Eigenverantwortung
Die eigene Verantwortung bewusst zu übernehmen, klingt anstrengend. Wer sich aber darüber im Klaren ist, dass beispielsweise fehlende Empathie im Umgang mit Patienten oder ein Mangel an klarer Kommunikation die Gründe für einige der negativen Ereignisse sind und die Verantwortung dafür übernimmt, kann die Probleme lösen. Mit der Eigenverantwortung wächst also auch die Kontrolle.
7. Zukunftsplanung
Sich realistische Ziele zu setzen und auf diese hinzuarbeiten, bringt gleich mehrere positive Einflüsse auf das Leben und die Widerstandskraft mit sich. Dabei kann es sich um die berufliche Weiterentwicklung handeln, um das Erlernen einer neuen Fertigkeit oder das Planen eines traumhaften Urlaubs.
Drei weitere Faktoren sollten bei der Resilienz nicht vergessen werden. Zum einen ist die Widerstandskraft teilweise veranlagt. Manche Menschen sind von Natur aus resilienter als andere. Sie erholen sich also schneller und einfacher. Sich selbst die nötige Zeit zu nehmen und sich nicht zu überlasten ist wichtig und beugt unter anderem einem drohenden Burnout vor. Zudem ist Widerstandskraft etwas, dass sich trainieren lässt. Ein Blick auf bereits überstandene Rückschläge hilft dabei, den eigenen Fortschritt zu sehen und sich der individuellen Stärke bewusst zu werden.
Resilienz in der Pflege: wichtig für Fachkräfte und Patienten
Wer kennt sie nicht, die Aufforderung „sich zusammenzureißen“ oder „die Zähne zusammenzubeißen“. Weder das Zusammenreißen noch sich stärker anzustrengen, hilft weiter, wenn die Widerstandskraft aufgebraucht ist. Bei manchen liegen dadurch die Nerven blank. Bei anderen herrscht Erschöpfung auf allen Ebenen vor. Wieder andere fühlen sich leer und traurig. Wer als Fachkraft selbst um die wichtige Rolle weiß, die die Resilienz spielt, kann an dieser Stelle empathischer mit Patienten umgehen und daraus eine ganze Reihe von Vorteilen entwickeln.
Vermitteln Sie die Säulen der Widerstandskraft auch an Patienten, können Sie beispielsweise die Compliance steigern, einen positiven Effekt auf den Abbau und die Psyche haben und damit für alle ein angenehmeres Umfeld schaffen. Zu diesem Zweck kann es ebenfalls sinnvoll sein, die offene Kommunikation mit Vorgesetzten und (pflegenden) Angehörigen zu suchen. Zugrundeliegende Probleme wie Einsamkeit, Pessimismus durch Altersdepression oder scheinbar fehlende Lösungen lassen sich nicht allein von den Fachkräften abfangen. Gegebenenfalls muss professionelle Hilfe in Form von Therapeuten eingesetzt werden, um den Zustand zu verbessern.
Die eigenen Grenzen kennen und damit umgehen
Der Stress in der Pflege ist für viele allgegenwärtig. Zum Aufbau und Erhalt der Widerstandskraft gehört es auch, sich dieser Herausforderung bewusst zu sein und die eigenen Grenzen zu kennen. Ständige Überforderung und Raubbau an den eigenen Kräften lässt sich auf Dauer nicht mit gezielten Maßnahmen zum Ausgleich abfangen. Offene Kommunikation, das Anregen von Verbesserungen und regelmäßige Auszeiten sind wichtige Faktoren. Reichen diese allerdings nicht aus, muss über eine berufliche Veränderung nachgedacht werden.
Resilienz ist in der Pflege ebenso wie in allen anderen Bereichen des Lebens eine entscheidende Fähigkeit, die fortlaufend aufgebaut und gepflegt werden muss. Von wohltuender Wellness, bewusster Dankbarkeit und Eigenverantwortung bis hin zur Pflege von Beziehungen und der Akzeptanz kann jeder selbst eine Menge unternehmen, um widerstandsfähiger zu werden und dadurch weniger Stress zu empfinden sowie sich schneller davon zu erholen. Dennoch ist die Steigerung der Resilienz in der Pflege nicht die Antwort auf alles, sondern stellt lediglich ein Hilfsmittel für Fachkräfte und Patienten dar.